Kriminelle Strukturen in Colditz: Kritik an der Aufklärungsarbeit des Innenministeriums

Organisierte Kriminalität und rechtsextreme Strukturen sollen sich in Colditz verbunden haben. Seit einer Razzia in März wird darüber debattiert – ohne Ergebnis. Die Kritik am Innenministerium wächst.

Die Staatsanwaltschaft hat ihre Untersuchung beendet: Vergangene Woche wurde bekannt, dass sie Anklage gegen drei Männer einer Familie aus Colditz (Landkreis Leipzig) erhoben hat, die im März im Zentrum einer Razzia standen. Dem Vater und seinen zwei Söhnen wird Drogenhandel vorgeworfen. Politisch ist der Fall aber längst nicht aufgearbeitet. Noch immer steht der Vorwurf im Raum, dass die Polizei jahrelang rechtsextreme kriminelle Strukturen in der Kleinstadt übersehen hat. Im Innenausschuss des Landtages wächst der Unmut über die Art, mit der das Innenministerium Aufklärungsarbeit betreibt.

Die Behörde ist in den vergangenen Monaten sehr zurückhaltend gewesen, sobald es um die Einordnung des Falls ging. Dem Ausschuss wurde zunächst eine Liste zugearbeitet, aus der das Vorstrafenregister der drei Verdächtigen hervorging: 424 Anzeigen sammelten sie in den vergangenen Jahren. Dann sandte das Innenressort eine weitere Aufstellung an die Landtagsabgeordneten. Neun Fälle wurden darin aufgeschlüsselt, in denen Polizisten und Behördenvertreter in Colditz eingeschüchtert worden waren. Offiziell hält sich das Haus von Innenminister Armin Schuster (CDU) dennoch zurück. Die eigenen Erkenntnisse möchte man nicht überbewerten.

Linke: „Das Ministerium nimmt Colditz nicht ernst“

„Die aufgelisteten Fälle beruhen ausschließlich auf persönlichen Erinnerungen befragter Polizeikräfte und weisen einen eher unterschwelligen Charakter auf“, teilt eine Sprecherin des Ministeriums mit. „Hinweise auf eine tatsächliche Einflussnahme beziehungsweise Einschüchterung von strafrechtlicher Relevanz im Sinne der Fragestellung liegen bislang hier nicht vor.“

Sätze, die im Innenausschuss nicht gut ankommen. „Das Innenministerium nimmt Colditz nicht ernst“, sagt Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz. Sie ärgert, „dass vonseiten des Ministeriums jetzt nur auf die Drogenkriminalität abgehoben wird und die rechtsextremen Strukturen vernachlässigt werden“. Dabei müsse das im Zusammenhang gesehen werden.

Experten gehen von kriminellem Netzwerk aus

Neu ist das nicht. Seit der ersten Ausschusssitzung, die sich im April mit dem Colditzer Fall auseinandersetzte, war die Meinung der Abgeordneten fast einhellig. „Wir haben es in Colditz offenbar mit einer verfestigten Struktur von rechtsextremer Clan-Kriminalität zu gehabt“, sagte damals der Abgeordnete Valentin Lippmann (Grüne). Doch die Verbindung von Rechtsextremismus und organisierter Kriminalität spielt bei der politischen Bewertung durch die Landesregierung kaum eine Rolle. Selbst die Finanzströme der rechtsextremen Szene, die man genauer ins Augen nehmen wollte, waren seither kein Thema mehr. Es bleibt ein blinder Fleck.

Experten irritiert dieser Ansatz. „Es ist kaum möglich, dass eine Familie über Jahre alleine eine kriminelle Organisation aufgebaut und betrieben hat“, sagt Alexander Ritzmann, der sich bei der Denkfabrik „Counter Extremism Project“ mit rechtsextremen kriminellen Strukturen befasst. „Es muss meines Erachtens ein Netzwerk geben: Denn beim Drogenhandel spielt Geldwäsche immer eine Rolle. Man muss Restaurants, Fitness-Center oder andere Gewerbe betreiben, um das Drogengeld zu waschen. Man kann das nicht einfach zur Bank bringen.“

Abgeordnete wollen Anfang September nachhaken

Die Colditzer Verhältnisse, die über Jahre entstanden, erstaunen Ritzmann auch aus anderem Grund: „Dass Polizisten und Amtsträger eingeschüchtert werden, dass ein ganzer Ort quasi als Geisel genommen wird, ist eine Anomalie. In der Regel verhalten sich kriminelle Netzwerke von Rechtsextremen eher professionell.“ Zu viel Aufsehen schade den Geschäften. „Da wäre es nicht hilfreich, sich mit einem ganzen Ort anzulegen. Es ist sehr ungewöhnlich und irritierend, dass das lange Zeit zu keiner wirksamen Reaktion des Rechtsstaats geführt hat.“

Die Abgeordneten wollen deswegen beim Innenministerium nachhaken. Anfang September steht die nächste reguläre Sitzung an. Dann sollen die Einschüchterungen erneut zur Sprache kommen. „Wir haben die Liste zur Kenntnis genommen“, sagt SPD-Innenpolitiker Albrecht Pallas. „Ich gehe davon aus, dass wir das im Innenausschuss aufgreifen und nachfragen werden.“

„Sorgen kleiner Beamter werden nicht ernst genommen“

Aktuell beantwortet das Ministerium Fragen danach, auf welche Weise Drohkulissen wie in Colditz verhindert werden können, sehr allgemein: Die Innenministerkonferenz habe sich in der Vergangenheit damit befasst, die Sicherheit von Polizisten zu erhöhen, heißt es: „Es wurde massiv in neue Einsatztechnik und Schutzausstattung investiert, Einsatztaktik und Deeskalationstrainings wurden fortentwickelt sowie relevante Strafnormen verschärft.“ Dem Schutz von Einsatzkräften komme „unverändert eine hohe Bedeutung“ zu.

Linken-Politikerin Köditz verlangt deutlich mehr Einfühlungsvermögen von der Landesregierung: „Die Schilderungen der Beamten, die das Ministerium aufgelistet hat, sind eindeutig. Ich habe das Gefühl, dass die Sorgen der kleinen Beamten im ländlichen Raum nicht ernstgenommen werden. Ähnliche Bedrohungslagen sind mir aus keiner anderen Region in Sachsen bekannt.“